EP3 Etheria- Gärtnerin in Gottes Namen

Sally liegt neben ihrem Mann und schaut ihn aufmerksam an, liebkost ihn sanft mit den Fingerspitzen, streichelt sein graues, volles Haar entspannt ausgestreckt lächelnd. Sie ist Gärtnerin im Garten. Sie beobachtet uns assoziiert über Ricks Technikleidenschaft nach. Im Sammeln und analysieren, ist er tatsächlich absolute Spitzenklasse, setzte es gedanklich in Sallies Kopf nach. Geißblatt. Schon gedacht, huscht ihrs ins Gedankengewebe dazwischen, die Staude, die viele weiteren Namen hat; Liebkind, Lonicera, Teufelsbeere, weil unbekömmlich, oder Honigblume oder eben auch jelängerjelieber. Weißt du noch, denkt sie weiter, um was es geht???? Jaaa! Die Pflanzendiebin, denkt sie in Schlagzeilen weiter, während sie schon ihren nächsten Streifzug in strahlungsfreie Zonen, plant. Zeitungs-Artikel über mal Jemand ganz Anderes. Trickdiebe, Ladendiebe, Bankräuber, Kleinverbrecher, Steuerhinterzieher, Kapitalverbrecher und Sie mitten drin, als die Pflanzendiebin. Das ist nicht Vergleichbar, denkt Sally nach, es kommt auf die Art der Verlockung an. Das wäre als würde ein Hardcoreporno mit einem Liebesgedicht verglichen. Ein Bankräuber hat mit einer Pflanzenklauerin mit direkten Draht zum Absoluten Bioplasma, nichts zu tun. Die Energie des Geldes dürfte wohl einer anderen Kategorie hörig sein. Alles, was Recht ist! Sie steht auf und ruft ihren AB, es hatte lange geläutet, während dem unaussprechlichen Akt. Lauras Stimme spricht zu ihr. „Hi Sally. Wir wollten doch einen Tag zusammen im Garten verbringen. Du schuldest mir noch eine Schulung in deiner Pflanzenkunde. Außerdem muss ich meinem Gärtner die Einkaufsliste der Pflanzen geben, womit du mir behilflich sein wolltest. Ruf mich doch bitte mal zurück“. Piep. Laura ist ihre beste Freundin aus der Jogagruppe. Ihre Stimme ist sehr klar, mit einem burschikosen Unterklang und sie hat, wie nur wenige in der Umgebung von Sally, keinen Akzent. Ein reines Englisch ohne gestelzt zu wirken. Das hat Sally beim ersten kennen lernen sofort an ihr gefallen- lässig und irgendwie, obwohl Frau das normalerweise an den Kleidern taxiert, edel.
Sallys feinstoffliche Schwingungen, fingen sofort Feuer, dockten an und es entstand instantan eine unbewusste Anziehungskraft. Als sie ihr das 1. Mal erzählte, dass sie mit ihren denkenden Pflanzen Kontakt habe, hörte Laura einfach nur zurückgelehnt zu. Sally erklärte ihr, dass Pflanzen sehr sensibel seien und ihr eine besondere Zufuhr von Energien gäben, und dass sie damit ihre Gefühle auftanken könne. Sie erwähnte das „Geheimnis der

comfort
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Pflanzen“ Buch und wollte schon wieder loslegen und alles gleich offenbaren, was sie wusste und sich über Jahre hinweg angelesen hatte- ließ es aber sein und nestelte ansatt an der Astilbe rum. Laura war in die Altenpflege gegangen. Sie hatte zwar sehr ambitionierte, sportliche Vorstellungen als junge Frau entwickelt, aber zufällig, so wie es das große Theater -Leben will, kam sie zur Einsicht, dass alte Menschen eine gewissenhafte Pflege und Vorbereitung zum Tode brauchten. Laura fühlte sich intuitiv dazu berufen, und da es immer mehr alte Menschen gibt, ist Arbeit dort, so gut wie sicher. Logisch. „Da ich über eigenes Kapital verfüge, stört mich die schlechte Bezahlung für meine Arbeit und Energie nicht sonderlich“. „Weshalb Altenpflege und nicht Kindergärtnerin“, wollte Sally wissen. Lakonisch beschrieb Laura ihr, wie sie Mütter beobachtet hätte, die den Kinderwagen mit lang ausgestreckten Armen, so als würden sie einen Rasenmäher vor sich her schieben. Sie überlegte eine kleine Weile und fügte nach einer kleinen Pause hinzu: „Das signalisiert doch augenscheinlich eine ganz spezielle Haltung der Frauen. Ein Instrument, was in irgendeiner Art dienlich ist“. „Diese Assoziation kann ich nicht nachvollziehen. Wenn sie die Arme anwinkeln, das habe ich schon beobachtet, dann erinnert mich das an einen Einkaufswagen vor sich herschieben. Das ist doch auch ziemlich seltsam, findest du nicht“, fragt Sally.

„Weshalb hast du dein teures Diplom, beruflich nicht genutzt“, wollte Laura einmal wissen. Das Erlebte im Studium, die Erinnerung an mein zu jener Zeit gewesenes Selbst, konnte ich nicht von irgendeinem Lohnstrich infizieren lassen“, sprudelt es aus Sally. „Die Erinnerung wird mit geldverdienen Energien überlagert und schwub die wub alles an wertvoller Energie verschluckt“, fügte sie noch hinzu. „Die Erinnerung ist dir so kostbar, dass du, einen fleißigen, pflichtbewussten, zudem auch noch attraktiven Mann geheiratet hast? Ist das, was du meinst?“ „Nein, das ist nicht was ich sagen wollte. Wie bei so vielen frisch Verliebten üblich, war mein Freund, wie soll ich das umschreiben, nicht lendenfaul. Du verstehst? Außerdem ist er auch ziemlich gutaussehend, wie du schon treffend festgestellt hast. Das subatomare feeling, hat sich auch mit der Zeit eingefunden. Damals riet mir meine innere Stimme Rick zu heiraten, schließlich war unser kleiner Henry schon über das Kaulquappen Stadium hinweg und hatte es sich in meiner Gebärmutter bequem gemacht“. „Lustiges Bild“, witzelte Laura, „ich stelle mir Henry gerade als Kaulquappe vor“. „Mit der Zeit ist Rick sogar zum

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Gilbweiderich herangewachsen“. „Gilbweiderich? Was bedeutet das denn jetzt? Das kann ich nicht nachvollziehen“. „Mein Pfennig Kraut! In meiner Ehe bin ich die Gärtnerin und er ist jetzt Gold wert. Es gelang mir ihn aus dem Schatten, zunächst noch in schlechten und rohen feinstofflichem Zustand, so umzupflanzen, dass seine Wurzelausläufer wirklich unermüdlich und sehr schnell ausfächerten. Zunächst machte er mir gar keine Arbeit- auf feinstofflicher Ebene- real ist er ausgesprochen tüchtig und verdient auch ganz gut Geld. Später, als Henry auf die Uni ging, musste ich mich mit Ricks materieller Geistigkeit auseinander setzen. Das sind die Kontrolldramen, dachte sich Laura. Seine kriechenden Wurzeln und sein absterbendes Laub haben den rohen Boden der materiellen Welt sehr stark verbessert, Geld war nicht das Problem- mehr. Aber auf die Bewusstseins Frequenz eines Materialistens, wollte ich mich nicht einlassen“. „Weshalb ist nie der Wunsch auf gekommen, deinen Gilbweiderich durch eine edlere Pflanze zu ersetzen“, frägt Laura mit einem süffisanten Lächeln um die Lippen. „Das ist ein weites Feld, Eheangelegenheiten“, meinte Sally das Gespräch in andere Bahnen lenkend. „Willst du wissen, wie meine Halbstaudengewächse den Frost aushalten?“ „Gibt’s da ein Mittel für“? Einen Schritt hin zum besonders schön angelegten Beet fragt Laura beiläufig: „Ist das nicht eine Gretel im Busch?“. „Ich bin beindruckt, dass du dich damit auskennst, entgegnet Sally überrascht und beugt sich über das zarte Pflänzchen. Sie heißt übrigens auch Jungfer im Grünen und fühlt sich in Gesellschaft mit anderen Blumen sehr wohl, währenddessen sie ein etwas braun gewordenes Blättchen von der Pflanze zupft. Ihrem Namen wiedersprechend trägt sie sehr viele Samen und gedeiht ziemlich hartnäckig in jeder Erde und überwintert robust, ins nächste Jahr, um irgendwo und irgendwann aufzugehen. Ich habe sie einmal gesät, und wie es scheint ist alles mit rechten Dingen zugegangen, denn, die gute Jungfer Gretel tut schon für lange Jahre in meinem Garten ihren Dienst. Ich musste mir nur merken, wie sie aussieht, als sie noch klein und unscheinbar war, um sie nicht mit den jungen, aufgehenden, gelben Rüben oder Unkraut zu verwechseln“. „Wieder was dazu gelernt“, erwidert Laura und spricht Sally auf die Katzenpfötchen an, die sie mit lang ausgestrecktem Arm und vorsichtig mit den Fingern über die Blätter streichelt. „Schönes weiches Fell“, lächelt Sally sie an. „Die kann große Trockenheit und sengende Hitze vertragen. Du machst das schon richtig so an die Blume ran zu zoomen, nur so kannst du sehen, wie reizend das Pflänzchen ist“. „An der Herzelblume kann man aber auch nicht unbeeindruckt vorbeigehen“. „Meine Güte Laura, ich wusste gar nicht, dass du dich mit den Pflanzennamen so gut auskennst. Dieses Prachtexemplar ist einer meiner Gartenhöhepunkte. Laura

grafic life
grafic life

beobachtet, wie Sally nach den richtigen Worten zur Beschreibung sucht und hört ihr mit einem Lächeln um die Lippen zu. Ich finde es so anmutig, wie diese lockeren Blätter sich waagerecht halten, und die Blüten schweben in einem Bogen über andere kleinere Frühjahrsblumen. Siehst du, wie sie erhaben über die Primeln und Vergissmeinnicht, über Maiglöckchen und Stiefmütterchen schwebt“? „Schwebt ist gut“ lacht Laura.

dreamland
Dream

„Ich hatte übrigens einen schönen Traum von dem ich dir erzählen wollte. Jetzt muss ich gerade daran denken. Also, ich durchstreifte einen wunderschönen Garten mit saftig grünen, samtartigen Rasenteppich und ein süßer atemberaubender Duft von einem Meer von Blumen schmeichelte mir um die Nase. Ist das nicht wahnsinnig“, meinte Laura ganz verzaubert von der Erinnerung an ihren Traum. „Und das war noch nicht alles. Leuchtendes Gelb, tiefdunkles Lila, rubinrot- eine Farbenpracht in HD Film Qualität. Bitte, frage mich nicht nach den Namen“, greift Laura dem tiefen Luftholen Sallys vor, die gerade, so schien es, eine Frage stellen wollte. „Da waren phantastisch geformte Bäume, mit windschief gekrümmten Stämmen, die mit merkwürdigen Verkrümmungen scheinbar einen Weg zum Licht suchten. Oder, sie sind vom Sturmwind so geschlagen, dass sie sich nur noch in der Schieflage halten können. Ich erinnere mich an die tiefschwarze Rinde mit silbernen Flechten übersäht und die Laubpracht lispelte leise im Wind. Unvorstellbar, wie lebendig der Traum war“, beendet Laura ihre enthusiastische Traumsequenz Schilderung. Staunend sprachlos verlor sich der Moment in einer großartigen Stille. Dann kam ein leises „wow“ aus Sallys Mund. Sonst nichts nur „wow“. Beide saßen noch eine Weile, die keiner linearen Zeitspur zu folgen schien, ganz gebannt auf der Holzbank neben dem kleinen Gartenteich und lauschten den Vögeln und Grillen und ab und zu dem Quaken vom Frosch, und sie dachten nach. „Du hast nicht zufällig einen Spacekecks gegessen“, fragt Sally mit Blick auf die Seerosen“. „Nein, das habe ich nicht. Aber was mich wundert ist, dass ich die Gerüche und Farben real im Traum wahrgenommen habe. Dass dich mein Traum so umhaut, ist eine weitere Überraschung. Du bist doch, und das meine ich nicht negativ, bitte nicht falsch verstehen, eine „Esoterikerin“ du mit deiner Kommunikation mit Pflanzen und so“. Zögerlich leise durchdringt die Nacht ein „Ja“. „Ich kann das aber kaum glauben, dass du dieses phantastische Traum Wunderwerk hattest, verstehst du? Es ist einfach nur wunderbar, und ich freue mich so für dich“. „Irgendwie hat mich dieses Gefühl eine ganze Weile mit einer Leichtigkeit über den Alltag hinweggetragen. Kaum zu glauben, was so ein Traum bewirken kann“, bemerkte Laura noch ganz verträumt bevor sie aufstanden und in Richtung Haus gingen. „Was macht dein Sohn“, fragt Laura. „Dem geht’s gut. Er ist ganz von seiner Arbeit in Anspruch genommen. Troposphäre, Stratosphäre, Mesosphäre und die geräuscharmen Messungen- wissenschaftlich eben. Wusstest du, dass wir nach den neuesten Erkenntnissen der Wissenschaft Meeresbewohner sind“, fragt Sally während sie sich in der Küche noch einen Kaffee zu Gemüte führen. „Nein. Wie das“? „Astronauten gehen davon aus, dass die Luft, also die Atmosphäre an sich, eigentlich eine Art von Flüssigkeit ist und nicht, wie alle glauben, ein Gasgemisch“. „Gut zu wissen“, meint Sally lakonisch, „dann sind wir also eher Fische und nicht kleine Ameisen oder so was ähnliches. Das Leben ist ein wogendes, undurchsichtiges

at the bottom
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Mysterium. Lassen wir‘s dabei. Zuviel nachdenken schadet dem gesunden Menschenverstand und Fische sind sowieso eher blöd. Ich habe die Liste mitgebracht, die ich dir versprochen habe. Empirisch geprüfter Umgang mit alten Gagamenschen. Du kannst dir das mal durchlesen, vielleicht hilft es dir im Umgang mit deiner chère Mama“. „Danke, wenn du nicht aufpasst, spöttelt Sally beim Abschied an der Haustür mit einem leisen Lächeln in der Stimme, wirst du, liebe Laura, noch zu meinem Schöngesicht“.
„ Ach ja, Sally, ich hätte es fast vergessen zu sagen, aber ich werde übermorgen für eine Woche an die Ostküste fahren. Ich brauche ein paar Tage Urlaub zum Abschalten. Lass das Schöngesicht also derweil nicht verblassen“, weht es ihr noch, ehe sie die Tür schließt leise um die Ohren.

Das Gewebe von Harmonie verzerrte sich, wie von einer unsichtbaren Kraft- einem transparenten Band gezogen. Sally ging zurück in die Küche, brühte sich eine Tasse Darjeeling, während sie darüber nachdachte, ob sie sich gleich an ihre Hausaufgaben und Lauras Tipps und Tricks im Umgang mit dementen alten Menschen zu Gemüte führen sollte. Oder vielleicht doch erst einen kurzen Zwischenstopp im Garten? Den Gedanken gleich verwerfend ging sie die Treppe zu ihrem Schreib und Nähzimmer hinauf. Hier gab es, wie auch im Schlafzimmer, keine Pflanzen. Als Ersatz dafür war ihr, doch recht großer und sonniger Raum mit transparent leichten Leinentüchern, abstrakten Malereien und sparsam gesetzten Dekorationen ausgestattet. Ihr Arbeitstisch war schlicht. Zwei Böcke und als Tischauflage eine dicke Marmorplatte. Am Fenster ihre Nähmaschine, die einiges an Standard Modi zu bieten hat – Rick hat sie ihr geduldig erklärt – ungenutzt, ein wenig beleidigt, wie es schien, in der Ecke. Fließend und ohne Textstellen nochmals zu lesen durchflog sie die Seiten. Geballte Info, flog es ihr durch den Kopf. Das ist so wunderbar. Laura macht nie großes Aufsehen, wenn sie sich um mich kümmert. Andere würden sich wahrscheinlich jeden Satz auf der Zunge zergehen lassen und das Ganze zu einer Ego-Posse verkommen lassen. Ups, solches Gedenke wollte ich ja eigentlich nicht mehr aufkommen lassen. Blätter, ungebleicht aus erster Hand -mein Schöngesicht, ich danke dir.

music
Piano forte

Wie wär‘s mit ein wenig Musik hören, geht es ihr durch den Kopf. Polytonalität- wer war nochmal der Meister dieser Gattung. Bartòk. Seine Bagatellen, nein, das ist es nicht. Elegien! Sehr gut. Die kleine Stereoanlage wartet schon auf die transzendente Versöhnung. Als Untermalung höre ich mir vordergründig das Tackern der Nähmaschine an. Der Hanf-Seidenvorhang braucht noch einen schönen Saum. Fun Anlasser anwerfen, das Nählicht einschalten, Ober und Unterfaden einfädeln, Fadenspannung regulieren und schon tickert die Maschine einen einwandfreien Rollsaum- wie von Zauberhand. Das ist der reine Wohlklang. Polymodalität überlagert von einem mechanischen Ostinato. Sally fühlt sich von diesem Kammerorchester berauscht. Lauschend verliert sie sich in den Klängen, den Farben des Stoffs, dem Licht, das ihr Zimmer durchflutet und der Bewegung der Nadel, die präzise das Ende des Saums abschließt. Ohne zu blinzeln starren ihre Augen geradeaus auf die auf und ab surrende Nadel. Sie gibt sich mit Leib und Seele der musikalischen Esoterik hin. Während dessen läuft ihr Unterbewusstsein auf Hochtouren. Das „Sich“ der Dinge, eine Telefon ins Jenseits. Der Akt des Tuns wird zur reinsten Metaphysik. Ein gelungener Streich, der Vorhang wird endlich vollendet. Ohne es zu bemerken betritt ihre Mutter den Raum und ohne ein Wort zu sagen, beobachtet sie ihre Tochter, die konzentriert an der Maschine arbeitet. Sally, ruft sie mit alter Fistelstimme in den Klangrausch. „SALLY“, ein kleiner Seufzer, „ein Schulterzucken- meinst du es gibt Regen“? „Was trägst du für ein schönes Kleid Mutter“, fragt sie den Blick auf sie richtend. „Warte, ich schalte die Stereoanlage aus. Bin sowieso endlich mit dem Vorhang fertig. Was hast du gesagt, ich habe dich nicht gehört“. „Bin mal gespannt, ob es regnen wird“? „Sieht ganz danach aus, es wird ja auch wieder kühler draußen. Soll ich die Heizung anschalten? Du hast dich aber fein gemacht, Mutter. Gibt es einen Anlass dafür“? „Heute ist der Hochzeitstag mit deinem Vater, ich habe von ihm geträumt und seine Liebe gespürt. Er stand da, ganz stolz mit seinem schelmischen Lächeln. Er sah aus wie ein Pinguin und überall flogen kleine Vögel um ihn herum. Dann war da noch ein leises Rauschen, das immer stärker wurde und dann hörte ich wunderschöne Musik“. „Er wacht über dich und zeigt dir, dass sein Geist um dich schwebt. Und dann hast du dir ganz alleine dieses schöne, blumige Sommerkleidchen angezogen? Und was sind das für Ohrringe? Lass mich mal sehen“. Sally geht auf ihre Mutter zu und fummelt an deren Ohrläppchen herum. „Sind das nicht meine Ohrringe mit den Smaragden, die mir Rick zu Weihnachten anno dazumal geschenkt hat? Du hast die doch nicht etwa aus meiner Schmuckschatulle stibitzt“? „Ich weiß nicht mehr wo ich die her habe, die gehören auf jeden Fall mir, oder meinst du ich bin eine Schmuckdiebin. Das denkst du also über deine Mutter, das werde ich mir merken, sowas unverschämtes aber auch.“ „ Lass gut sein Mutter, alles OK. Komm ich mach dir was zum Abendessen, die Ohrringe kannst du natürlich anlassen. Die stehen dir sehr gut“. Mit ihrer Mutter am Arm geht sie in die Küche, verabschiedet sich aus der Unterhaltung mit ihr. Geschäftig deckt sie den Tisch und bereitet das Abendbrot vor. Maggy isst meistens nur ein Brot mit Wurst oder Käse und trinkt einen Kamillentee mit Zucker dazu.

Nach dem Essen zieht Sally ihr ein Nachthemd an und bringt sie ins Bett. Als sie durch das Wohnzimmer in die dahinter, von der Treppe in den ersten Stock getrennt gelegene Wohnräume geht, fällt ihr ein Plastiksack, der unter dem Treppenansatz versteckt lag, auf. Nichts weiter denkend begleitet sie die Mutter ins Schlafzimmer, und wie jeden Abend sprechen die zwei Frauen noch ein kurzes Abendgebet zusammen. Auf dem Weg zurück, greift sie sich die Plastiktüte und findet nicht wenig überrascht eine Zimmerpflanze, die im Wohnzimmer stand darin. Das darf nicht wahr sein. Als Erstes befiehl sie ein ärgerliches Gefühl, das dauerte aber nicht lange an. Dann fühlte sie sich total überfordert einen Zusammenhang zu finden, und dann befiel sie ein nicht zu kontrollierendes Lachen, nein eher ein juchzen, so, das ihr ganzer Körper zu zittern anfing. Sally fand an dem Abend noch weitere sechs Tüten mit Haus und Gartenpflanzen drin. Rick meinte lakonisch: „soll ich die Tüten entsorgen“? „Nein“, meinte Sally, stotternd nach den richtigen Worten suchend, die werde ich umpflanzen. Die brauchen einen größeren Topf und bessere Erde. Lass alles liegen, ich kümmere mich darum“.

Was ist passiert? Sally ließ sich alles nochmal langsam und gründlich vor dem inneren Auge Revue passieren. Das Schlafzimmer von Mutter liegt auf der Westseite, mit großem Fenster zum Garten – das bedeutet; Sie hätte mich bei meinen Aktivitäten beobachten können. Weshalb gräbt sie die Pflanzen aus? Sicherlich sind demente alte Menschen zu mancherlei Unerklärlichem in der Lage. Mit reiner Vernunft kommt man da nicht weit – mit dem Verstehen. Heute Abend werde ich alleine schlafen. Ich brauche Abstand um nachzudenken; Ms. Marple ist lieber alleine. Während sie sich die Zähne putzt und den abendlichen Hantierungen zur Vorbereitung, schlafen zu gehen nachgeht, muss sie an den Auftritt ihrer Mutter im Nähzimmer denken. Hatte sie eigentlich schmutzige Fingernägel, überlegte Sally kurz- das ist nur nebensächlich. Aber offensichtlich fühlte sie sich Vater sehr nahe, denn sie hatte von ihm geträumt und wollte ihren Hochzeitstag feiern. Mit meinen Ohrringen, was Mutter sofort geleugnet hat. Sally war gerade dabei sich ins Bett zu legen, da stand Rick in der Tür mit Pyjama und Zahnbüste in der Hand. Hab‘ ich was Falsches getan, fragte er sie, oder warum schläfst du im Gästezimmer“? Ein Millisekunden schneller Augenaufschlag, ein Geistesblitz. Sally sieht fadendünne schwarze Halbkreise unter Ricks Fingernägeln. Stocken, Pause, Antwort: „Nein, mein Lieber, das hat nichts mit dir zu tun, ich brauche heute mehr Raum beim Schlafen. Du kennst mich doch“. Rick gab ihr noch ein Küsschen auf die eingecremte Wange und ging zurück ins Bad. Es war Rick, er hat die Pflanzen ausgegraben und in Tüten an verschiedenen Stellen im Haus liegen lassen. Er kennt ihr Geheimnis und setzt ihr ein Zeichen damit aufzuhören. Ein Übergriff in ihre Freiheitsliebe, das zu tun, was ihr ein liebenswerteres Lebensgefühl vermittelt, was sie näher an ihren eigenen Wesenskern rückt. Starr und verletzt liegt Sally im Bett und die Gedanken drehen sich, wie in einer Endlosschleife. Sie fühlt einen seltsamen Schwindel im Kopf, fast schwerelos, kann keinen klaren Gedanken fassen. Mikroskopische, kontrapunktische Vorgänge durcheinander in ihrem ganzen Kopf verteilt. Es kristallisiert sich eine geheimnisvolle, fremdartige Welt in Sallys

clinging together
clinging together

Einschlafphase, eine Schwelle in eine fremdartige Traumlandschaft öffnet sich und halbvertraute Gestalten treten aus dem Nebel in ihr Unterbewusstsein. Sie taucht in die Schattenwelt ein und wird von nichtmenschlichen Sphären überlagert. Sallys Traumlandschaft wird zur erfahrbaren Oberfläche; Flüstern, murmeln, sprechen durchfluten ihre im Schlaf versunkene Wahrnehmung. Abstrakte Lichtmuster, Kreise, negativ Belichtungen schwirren vor ihren geschlossenen Liedern. Wie ein Astronaut fliegt Sally durch die Parallelwelt des Schlafs, fliegt in atemberaubende Höhen und Schwindel erregende Tiefen. Nahezu auflösendes, kaum wahrzunehmende Atmosphären und Abenteuerliches durchdringen sie auf ihrer Reise in ein Alternativuniversum. Beim Aufwachen am Morgen findet sie sich am Ausgangspunkt zurück; Der Kreislauf des alltäglichen kann von Neuem beginnen.